Brotgetreide
Ist die Rede von Brotgetreide, so sind damit Weizen, Dinkel und Roggen gemeint. Sie sind die Grundlagen der weltweit einmaligen deutschen Vielfalt an Brot- und Gebäcksorten. Da Weizen und Roggen zu den wichtigsten Nährstoffquellen der Menschen gehören, entwickelten bereits unserer Vorfahren die ursprünglichen Gräser durch Kreuzungen immer weiter. Die ersten von Menschen kultivierten Weizenarten waren Emmer und Einkorn. Ihr Herkunftsgebiet liegt im Nahen und Mittleren Osten. Die ältesten Funde stammen aus der Zeit von 10.000-7.500 v. Chr.
Auch heute arbeiten Wissenschaftler daran Sorten zu entwickeln, die ertragreich aber auch widerstandsfähig sind. Gerade im Hinblick auf sich verändernde Klimafaktoren ist es wichtig, Sorten zu haben, die je nach Anbaugebiet Hitze oder Kälte, Trockenheit oder Nässe gut vertragen können. Auch eine gewisse Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge sind wichtige Züchtungsziele. Krankheiten wie beispielsweise Braunrost können ganze Ernten vernichten und im schlimmsten Fall zu Hungerkatastrophen führen. Durch die jahrhundertelange Züchtung haben heutige Getreidepflanzen starke Ähren und gut ausgebildete Körner.
In Deutschland überwiegt übrigens der Anbau von Wintergetreide, obwohl es Weizen und Roggen auch für die Sommeraussaat gibt. Das spiegelt sich auch bei der Anzahl von zugelassenen Sorten wider: Es gibt 181 für Winterweizen, aber nur 20 für Sommerweizen. Bei Roggen kommen in Europa fast ausschließlich Wintersorten zum Einsatz. Hier sind derzeit 32 Winter- und zwei Sommersorten zugelassen.
Weizen
Botanisch ist die Weizenpflanze (Triticum aestivum) ein einjähriges Ährengras. Je Pflanze bilden sich zwei bis drei ährentragende Halme aus. Je nach Vegetationsverlauf, Sorte und Düngung entwickeln sich 30 bis 50 Körner pro Ähre. Als Selbstbefruchter weist Weizen eine gute genetische Stabilität auf. Das bedeutet, dass die verschiedenen Sorten über Jahre hinweg rein bleiben, also ihre jeweils typischen Eigenschaften behalten.
Weizen stellt an Klima, Boden sowie Nährstoff- und Wasserversorgung höhere Ansprüche als andere Getreidearten. Ab dem Mittelalter wurde er in Mitteleuropa nach und nach heimisch. Ab den 1960erJahren verdrängte er dann den Roggen vom Spitzenplatz im deutschen Getreideanbau. Gute Nährstoffversorgung und Böden vorausgesetzt, verfügt er über eine hohe klimatische Anpassungsfähigkeit. Er ist bis circa minus 20 Grad Celsius Frost resistent. Daher gedeiht er in allen Klimazonen: Vom Polarkreis bis zum Äquator, auf Meereshöhe oder im Gebirge bis auf 2.000 Meter Höhe. Weizen benötigt eine Niederschlagsmenge von mindestens 220 Millimeter auf neutralen, humusreichen Böden. Damit erzielt er beste Erträge.
Dinkel und Grünkern
Botanisch gesehen zählt der Dinkel (Triticum spelta) ebenfalls zu den Weizenarten. Die Pflanze wird zwischen 0,6 und 1,5 Meter hoch, die Ähre ist locker vierkantig und hat zwei- bis dreikörnige Ähren. Der robuste, winterharte und gegen eine Vielzahl an Krankheiten resistente Dinkel bevorzugt gute tiefgründige Böden, kann aber auch auf flachgründigen Böden angebaut werden.
Dinkel (etwa 7.000 v. Chr.) wie auch Weichweizen (etwa 6.500 v. Chr.) entstanden in der Region des kaspischen Meeres, wobei Dinkel ein Spelz- und Weizen ein Nacktgetreide ist. Spelzgetreide sind aufwendiger in der Verarbeitung, da sie zuvor „geschält“ werden müssen. Dies geschieht über den sogenannten Gerbgang. Hier werden die Schälmaschinen so eingestellt, dass die Schale gebrochen wird, der Kern dabei aber ganz bleibt.
Das Getreide wurde in der Bronzezeit von den Südalpen bis nach Südschweden angebaut und erreichte seinen Anbauhöhepunkt in der späten Eisenzeit (800 v. Chr. bis Chr. Geburt). Nach und nach wurde er aber in den meisten Regionen von anderen Getreidearten wie Weizen, Roggen und Gerste abgelöst. Nur in wenigen Gebieten wurde der Dinkelanbau noch beibehalten, zum Beispiel in Schwaben und der Schweiz, vielfach aber nicht mehr als Hauptgetreide. Während der kleinen Eiszeit im Mittelalter erlebte er vorwiegend im süddeutschen Raum eine Renaissance. Diese Zeit trägt sogar seinen Namen: Verdinkelung. Als winterfestes, robustes Getreide trotzte er den verschärften Klimabedingungen mit langen Wintern und nasskalten Sommern besonders gut. Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts verschwand er zugunsten des ertragreicheren und einfacher zu verarbeitenden Weichweizens zusehends von der Bildfläche. Im Zuge der Bio-Bewegung wurde er in den letzten Jahren wiederentdeckt und erlebt gerade seine zweite Renaissance.
Dinkel und Weizen ähneln sich sehr in ihren klassischen Inhaltsstoffen, wobei es auch hier sortenspezifische Unterschiede gibt und Aussagen schwer zu pauschalisieren sind. Allgemein hat Dinkel etwas mehr Protein und auch einen höheren Carotinoid-, Zink- und Selengehalt. Dinkelgebäcke sind herzhaft nussig im Geschmack.
Dinkel – besser verträglich?
Da Dinkel in die Weizenfamilie gehört, enthält er Gluten und ist damit für Menschen mit einer Zöliakie oder Weizenallergie nicht geeignet, auch wenn immer wieder gegenteilige Infos zu lesen sind. Oft wird er von glutensensitiven Menschen jedoch als besser verträglich beschrieben.
Grünkern
Eine Besonderheit stellt Grünkern dar: Hierbei handelt es sich um unreif/milchreif geernteten und gedarrten (getrockneten) Dinkel. Grünkern wird als Suppeneinlage oder wie Reis verwendet und kann zu Bratlingen und Brei verarbeitet werden. Aufgrund der Hitzeeinwirkungen beim Trocknen verändert sich die Eiweißstruktur, Grünkern ist damit nicht backfähig.
Exotische Weizenorten: Khorasanweizen, Manitoba, Rotkornweizen, Gelbmehlweizen
Eine weitere Form des Weizens stellt der Khorasanweizen (Triticum turanicum) dar. Er ist auch unter dem eingetragenen Markennamen Kamut® zu finden. Genetischen Untersuchungen zu Folge ist er vermutlich als alte Sommerweizensorte ein Hybrid aus Hartweizen sowie Wildformen des Weichweizens, wahrscheinlich Rauhweizen und Gommer. Über seine Ursprünge ranken sich einige Legenden: Er wurde demnach aus Ägypten in die USA gebracht und dort schrittweise züchterisch weiterentwickelt. Ursprünglich soll er, auch darauf deuten genetische Untersuchungen hin, aus der Provinz Chorasan im heutigen Iran stammen.
Im Gegensatz zu Weichweizen zeichnet sich Khorasanweizen durch größere Körner und wesentlich längere Halme aus. Laut Angaben der Hersteller hat Khorosanweizen einen hohen Protein- und Fettgehalt sowie einen hohen Anteil an Selen, Zink, Magnesium und Vitamin E. Bisher gibt es wenige wissenschaftliche Daten, allerdings zeigen Untersuchungen aus Österreich, dass der Proteingehalt bei 16 Prozent und der Glutengehalt bei 12 Prozent liegen kann. Die Werte sind damit ähnlich denen von Hartweizen. Er kann wie Weich- aber auch wie Hartweizen verwendet werden und eignet sich zur Herstellung von Nudeln, Brot, Gebäck, Müslis und Snacks.
Manitoba Weizen bekam seinen Namen von der kanadischen Provinz Manitoba. Es handelt sich dabei um einen Weizen mit hohem Klebergehalt. Damit lassen sich gut Backwaren herstellen, die eine lange Teigführung benötigen, wie Stollen, Baguette oder Ciabatta. Rotkorn- und Gelbmehlweizen haben ihren Namen durch höhere Gehalte an pflanzenspezifischen Farbstoffen, wie zum Beispiel Carotinoide und Anthocyane. Durch sie bekommt der Weizen eine sortentypische Färbung, die sich im Namen niederschlägt.
Alte Sorten neu entdeckt: Einkorn und Emmer
Im Zuge der Wiederentdeckung und -belebung alter Sorten erfreuen sich Einkorn (Triticum monococcum) und Emmer (Triticum dicoccum) wachsender Beliebtheit bei Verbrauchern. Beide gelten als sogenannte Urgetreide. Auch sie stammen aus der Region des fruchtbaren Halbmondes, gelegen zwischen dem östlichen Mittelmeer und dem Persischen Golf. Allmählich verbreiteten sie sich weiter nach Ägypten, über das damalige Römische Reich bis nach Mittel- und Nordeuropa. Wobei Emmer in den meisten Regionen das bedeutendere Getreide war. Einkorn war lediglich im Norden Europas und wenigen mitteleuropäischen Gegenden anzutreffen. Ab dem frühen Mittelalter verschwanden beide Sorten zugunsten von Roggen, Dinkel, Gerste und später auch Weichweizen aus dem Anbau. Emmer und Einkorn waren allenfalls noch Zwischenfrüchte oder Nachsaaten, wenn das ursprüngliche Getreide nicht keimen wollte. Besonders Einkorn ist anspruchslos was Boden, Klima und Feuchtigkeit angeht. Emmer hingegen ist frostempfindlich und war damit nur als Sommerfrucht geeignet.
Heute bemühen sich einige Landwirte, vorwiegend aus dem Ökolandbau, zusammen mit Bäckern, Müllern und der Forschung um die Wiedereinführung der beiden Urgetreide. Emmer sowie Einkorn bieten neben geschmacklichen und verfahrenstechnologischen Besonderheiten auch bestimmte Resistenzen gegen Getreidekrankheiten.
Allgemein haben beide Sorten etwas mehr Protein als Weichweizen, allerdings ist die Zusammensetzung des zum Backen benötigten Klebereiweißes mit hohem Gliadin und niedrigen Gluteningehalten eher ungünstig. Wobei auch hier Sortenunterschiede mitspielen. So bringt Emmer beispielsweise bessere Backeigenschaften mit als Einkorn Das kräftig würzige Getreide ist besonders eiweiß- und mineralstoffreich. Emmer eignet sich gut für klassische Kuchenteige (Mürbeteig, Hefeteig). Die Teige bekommen jedoch eine eher kristalline Struktur.
Einkorn ist hingegen besonders reich an Carotinoiden, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Da seine Backeigenschaften nur mäßig sind, kann er gut als Beimischung für backstärkere Mehle verwendet werden und dort seinen typisch süß-nussigen Geschmack entfalten.
Für pure Einkorn-Gebäcke ist Übung und Geduld gefragt: Lange Teigführung, sanftes Kneten und Säuerung sind entscheidende Schritte. Voluminöse Gebäcke sind mit ihm schwierig. Einfacher zu verwenden ist er für Pfannkuchen, Knäckebrot oder Brei.
Sowohl Teige aus Einkorn als auch aus Emmer werden eher fest und binden nur mäßig Wasser. Erstes Ausprobieren mit Mischungen von backstarken Getreidesorten ist daher empfehlenswert.
Roggen
Roggen (Secale cereale) ist ebenfalls ein einjähriges überwinterndes Gras, das allerdings zu den Fremdbefruchtern zählt, also den Pollen einer anderen Pflanze benötigt. Damit ist die Nachzucht gleicher Eigenschaften schwieriger als beim Weizen. Die Roggenähre kann bis zu 90 Körner enthalten. Der ehemals aus den Gebieten des Kaspischen und Schwarzen Meeres stammende Roggen wurde vermutlich als „Unkrautbesatz“ im Weizen nach Europa eingeschleppt und hier wahrscheinlich auch kultiviert. Grund dafür mag seine Anspruchslosigkeit und Widerstandsfähigkeit gewesen sein. Roggen ist das frostsicherste Getreide und hält Temperaturen von bis zu -25 Grad Celsius stand. Er verträgt karge Böden, wenig Niederschlag und keimt bereits bei niedrigen Temperaturen. Vielleicht ein Grund, warum er vorwiegend in Mittel-, Nord- und Osteuropa angebaut wird. Stärke- und Proteingehalte können durch Düngung nur begrenzt beeinflusst werden, dafür aber vom Klima: Durchgehend warme Witterung führt zu geringem Stärke- aber hohem Eiweißanteil sowie hohem Ertrag. Kühlere Bedingungen führen umgekehrt zu hoher Stärke-, aber geringerer Eiweißausbeute. Spannend ist die Roggenernte. Sie erfordert Wissen gepaart mit Wetterglück: Viel Regen zur Erntezeit bringt das Korn in „Keimstimmung“, dem sogenannten Auswuchs. Dabei werden Enzyme aktiviert und damit bestimmte Eigenschaften verändert. Solches Getreide eignet sich dann nur bedingt zum Mahlen, Mälzen und Backen.
Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts war Roggen in Deutschland das Getreide Nummer eins, bevor es vom Weizen verdrängt wurde. Auch heute noch gilt: Nur durch den Einsatz von Roggenmehlen ist die deutsche Brotvielfalt überhaupt machbar. Im Mittelalter war es sogar gesetzlich verboten, Roggen zu Bier zu verbrauen. Damit sollte er als Lebensmittel bewahrt werden.
Ursorte: Waldstauderoggen /Johannisroggen/Bergroggen
Auch beim Roggen gibt es sogenannte Urformen. So ist der Bergroggen (S. montanum) eine mehrjährig ausdauernde Wildart des Roggens.
Waldstaudenroggen oder auch Johannisroggen ist ebenfalls mehrjährig. Botanisch wird er allerdings nicht als eigene Art gezählt. Traditionell um den Johannistag (24. Juni) ausgebracht, wird bis in den Herbst hinein das Grün beweidet oder geerntet und verfüttert. Erst im Folgejahr lässt man die Körnerbildung zu. Auch danach treibt die bis zu fünfjährige Roggenpflanze erneut aus. Der Waldstaudenroggen ist kleinkörniger als kultivierter Roggen, was bei Vollkornprodukten zu höheren Ballaststoff und Mineralstoffgehalten führt. Er lässt sich wie Kulturroggen verarbeiten.